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Schöne schlanke Bilderwelt - Zum Zusammenhang zwischen (sozialen) Medien und Essstörungen

Soziale Medien sind aus dem Leben der meisten Menschen nicht mehr wegzudenken. Fast automatisch konfrontieren sie Nutzer*innen mit Bildern von „perfekten“ Körpern. Wie verändert das den Blick auf das eigene Äußere und gibt es einen Zusammenhang mit Essstörungen?

von Anna Weith


Am Anfang war da dieser Bikini. Julia hatte ihn auf der Instagram-Seite eines Models entdeckt, das sich mit durchtrainiertem Körper auf einem Segelboot bräunte. Am Ende aß die junge Frau nur noch eine halbe Scheibe Brot am Tag. Das Ziel hatte sie dabei klar vor Augen: Immer mehr Gewicht sollte weg, um endlich perfekt auszusehen. Mit der Zeit wurden die Konflikte mit Familie und Freunden immer größer, körperlich ging es Julia immer schlechter. Mit starkem Untergewicht entschied sie sich schließlich für die Behandlung in einer psychosomatischen Klinik.

Essstörungen sind vergleichsweise häufige psychische Erkrankungen (Ketut Subiyanto via Pexels https://www.pexels.com/de-de/foto/gesund-person-fusse-jeans-4474052/)

Julia ist keine reale Person. Ihre Geschichte steht aber als Beispiel für alle Menschen, deren Bezug zum eigenen Körper aus dem Takt geraten ist. Welche Essstörungen gibt es und was sind die Ursachen?

Ärzt*innen und Therapeut*innen unterscheiden Magersucht, Bulimie, die Binge-Eating-Störung sowie Mischformen. Manche Menschen leiden auch nur an einzelnen Symptomen, wie zum Beispiel Heißhungeranfällen oder einer starken Unzufriedenheit mit dem Körper. In diesem Fall würde man nicht von einer Essstörung, sondern eher von gestörtem Essverhalten sprechen (www.bzga-essstoerungen.de).

Essstörungen sind in unserer Gesellschaft relativ häufig und sowohl Männer als auch Frauen sind davon betroffen. Es gibt viele verschiedene Ursachen: Familiendynamiken, Charaktereigenschaften (zum Beispiel erhöhter Leistungsanspruch), genetische Merkmale oder Critical Life Events können die Erkrankung hervorrufen oder begünstigen (Fritzsche & Wetzel-Richter, 2020). Ein weiterer Einflussfaktor, der gerade in den letzten Jahren in den Fokus der Wissenschaft gerückt ist, ist die Darstellung von Schönheitsidealen in den Medien. Eine besondere Rolle nehmen mittlerweile soziale Netzwerke wie Instagram, Facebook oder Snapchat ein.

Hilfsangebote für Betroffene und Angehörige

Eine Essstörung bedeutet für Betroffene eine enorme Belastung. Und auch Familie und Freunde sorgen sich meist sehr. Wenn Symptome einer Essstörung bemerkt werden (z.B. verändertes Essverhalten, Gewichtsverlust, Rückzug oder Niedergeschlagenheit) sollte das Gespräch gesucht werden. Wichtig ist es, Verständnis zu zeigen und auf Schuldzuweisungen und Vorwürfe zu verzichten. In einem fortgeschrittenen Stadium der Erkrankung kann sofortige ärztliche Hilfe nötig sein. Und auch wenn Suizidabsichten geäußert werden oder der Verdacht darauf besteht.  

Informationen zu Hilfsangeboten und Suizidprävention bietet u.a. die Bundeszentrale für Gesundheitliche Aufklärung: 

https://www.bzga-essstoerungen.de/habe-ich-eine-essstoerung/wie-haeufig-sind-essstoerungen/?L=0#c742


Medien vermitteln gesellschaftliche Normen

Wissenschaftliche Arbeiten kommen immer häufiger zu dem Ergebnis, dass es einen Zusammenhang zwischen dem Konsum von Medien und dem Wunsch den eigenen Körper zu verändern gibt (Holland & Tiggemann, 2016). Eine Studie, die von 1995 bis 1998 auf den Fidschi-Inseln durchgeführt wurde, belegt das eindrucksvoll (Becker et al., 2002). Forscher*innen der Harvard-Universität reisten nach Nadroga, einer Provinz des Inselstaates. Dort wurde erst 1995 das Fernsehen eingeführt; bis dahin waren die Einwohner*innen kaum mit westlichen Medien in Kontakt gekommen. Und noch etwas unterschied sie von Europa oder Nordamerika: Sie hatten ein anderes Schönheitsideal. Frauen galten als besonders attraktiv, wenn sie eine kräftigere Statur hatten. Essstörungen wie zum Beispiel die Magersucht waren zu diesem Zeitpunkt extrem selten.

Die Forscher*innen reisten zweimal in die Südsee. Einmal 1995, kurz nach der Einführung des Fernsehens und ein zweites Mal 1998. Sie befragten insgesamt 65 junge Mädchen, ob und wieviel Fernsehen sie schauten und wie sie das Verhältnis zu ihrem Körper und zu Essen beschreiben würden. Und tatsächlich: Die Antworten der Mädchen unterschieden sich deutlich zwischen den Messzeitpunkten. 1998 war die Anzahl der Mädchen, die einen Fernseher zuhause hatten, um 30% gestiegen. Und auch das Essverhalten hatte sich verändert: Nach drei Jahren hielten deutlich mehr Mädchen eine Diät ein. Der Anteil derjenigen, die sich absichtlich erbrachen, um ihr Gewicht zu kontrollieren, stieg sogar von 0% auf 11%. Welche Erklärungen gibt es für diese Ergebnisse?

Die sozio-kulturelle Theorie geht davon aus, dass Medien gesellschaftliche Normen vermitteln. Im westlichen Kulturkreis gelten schlanke und sportliche Frauen mit gleichzeitig deutlich weiblichen Merkmalen als besonders attraktiv, das Ideal für Männer ist eine große, muskulöse Statur mit breiten Schultern und schmalerem Becken (Stice, 1994). In den Medien sind diese Ideale überrepräsentiert und zeitgleich wird ihnen eine enorme Bedeutung zugeschrieben. Dadurch können äußere Ansprüche zu inneren Überzeugen werden und auch zu Unzufriedenheit führen. Nämlich dann, wenn es ein Missverhältnis gibt zwischen dem, wie man ist, und dem, wie man glaubt sein zu müssen.
Der ständige Blick von außen kann zu Unzufriedenheit führen, Quelle: pexels.com

Soziale Medien können Effekte verstärken

Mit seiner Kommerzialisierung in den 1990er Jahren begann für das Internet ein Siegeszug. Heute stehen die dort ansässigen sozialen Netzwerke schon bei Kindern und Jugendlichen auf der Beliebtheitsskala ganz oben (JIM-Studie, 2017). Instagram, Snapchat und Co. unterscheiden sich vom Fernsehen und Zeitunglesen deutlich: Sie funktionieren interaktiv und leben davon, ein Gefühl von Gemeinschaft zu erzeugen (Pempek et al., 2009). Fotos und Videos stoßen Vergleichsprozesse ganz unmittelbar an und über Kommentarfunktionen oder Likes bekommen die Nutzer*innen rasch Rückmeldung, ob sie mit aktuellen Trends und den Erwartungen der online-Community konform sind. Soziale Netzwerke arbeiten damit wie ein Barometer der eigenen Beliebtheit und von außen vermittelter Werte.

Die Forscherinnen Sara Santarossa und Sarah Woodruff wollten wissen, wie sich diese Form der Mediennutzung auf das Körperbild und das Essverhalten junger Erwachsener auswirkt. Dazu führten sie 2017 eine Studie an einer kanadischen Universität durch und befragten 147 Frauen und Männer (Santarossa & Woodruff, 2017). Sie unterschieden in ihrer Untersuchung verschiedene Aspekte der Mediennutzung, zum Beispiel die tägliche Dauer und die Art der Nutzung. Auch fragten sie nach problematischem Nutzungsverhalten – das traf beispielsweise zu, wenn Nutzer*innen sich gezwungen fühlten, online zu sein. Die Forscherinnen gingen davon aus, dass sich Zusammenhänge mit der Zufriedenheit mit dem eigenen Körper, dem Selbstwertgefühl und Symptomen einer Essstörung zeigen würden. Und tatsächlich: Wer mehr Zeit in den sozialen Medien verbrachte und wer mehr problematisches Nutzungsverhalten zeigte, der berichtete auch von mehr Symptomen einer Essstörung. Aber Achtung: Diese Ergebnisse bedeuten nicht automatisch, dass soziale Medien Essstörungen verursachen. Es ist auch möglich, dass sich beide Aspekte in Wahrheit gegenseitig verstärken oder dass ein kritischer Blick auf den eigenen Körper dazu führt, dass man die online Netzwerke auf besondere Weise nutzt.

Natürlich entwickeln nicht alle Nutzer*innen sozialer Medien Symptome einer Essstörung. Einige Faktoren scheinen dies aber zu begünstigen: Wenn Personen sehr empfänglich für negatives Feedback sind, dazu neigen sich stark mit anderen zu vergleichen, wenig Rückhalt von Familie und Freunden bekommen und schon im Voraus ein hohes Maß an Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper verspüren, kann der Einfluss der Medien verstärkend wirken (Smith et al., 2013 und Spettigue & Henderson, 2004).

#bodypositive – neue Schönheitsideale auf dem Vormarsch

Als Gegenpol zur Schlankheitsnorm hat sich in den sozialen Medien die „Body Positivity“-Bewegung entwickelt - im Januar 2020 gab es auf Instagram über 11 Millionen Beiträge zu diesem Thema. Mit Fotos und Videos unterschiedlichster Körpertypen wollen die Anhänger*innen einen Sinneswandel in der Gesellschaft bewirken: Körper sollen so angenommen werden wie sie sind, mit allen vermeintlichen „Makeln“ wie Dehnungsstreifen, Narben oder einer kräftigeren Statur. Gesundheit, Zufriedenheit und Individualität sollen an erste Stelle rücken und den Druck nehmen den eigenen Körper in irgendeiner Weise verändern zu wollen. Damit könnte sich unter Umständen auch die Häufigkeit von Essstörungen verringern lassen.

Durch die Body Positivity-Bewegung sind unterschiedliche Körpertypen in den Medien vertreten (Ana Shvets via Pexels https://www.pexels.com/de-de/foto/fashion-strand-liebe-sand-4672267/)
  
Problematisch daran ist nur, dass das zugrundeliegende Problem der Objektifizierung des Körpers im Grunde eigentlich nur verfestigt wird. Das zentrale Kriterium, nach dem eine Person beurteilt wird, bleibt ihr Äußeres. Manche Autor*innen sind deswegen der Meinung, dass es eine „Body Neutrality“-Bewegung bräuchte. Auch weil sich durch #bodypositive geltende Normen im Grunde nur verschieben: Statt schlank und schön zu sein, muss man nun seinen Körper lieben, so wie er ist. Ob und wie sich die Body Positivity-Bewegungen aber wirklich auf das Körpergefühl und damit auch auf das Essverhalten auswirkt, muss in Zukunft noch im Rahmen wissenschaftlicher Studien untersucht werden (Cohen, Newton-John & Slater, 2020).

Um mehr über das Thema Body Positivity und ganz besonders über den Trend „Instagram vs. Reality“ zu erfahren, kannst Du Dir den Artikel „Hat nicht sogar Pamela einen kleinen (Schwimm)-Reif?“ von Leonie Peters und Franziska Ströhm anschauen.


Die Beschäftigung mit dem eigenen Äußeren ist ein zentrales Thema unserer Zeit. Wie wir uns selbst sehen, hängt von vielen verschiedenen Faktoren ab: Unserer Persönlichkeit, den Rückmeldungen von Familie und Freunden und den Bildern, die wir täglich im Fernsehen und im Internet sehen. Bei manchen Menschen kann sich daraus gestörtes Essverhalten oder eine Essstörung entwickeln, die seelisch und körperlich extrem belastend ist. Und im Fall von Magersucht auch vergleichsweise oft sogar tödlich endet.

So weit wollte Julia es auf keinen Fall kommen lassen. In der Klinik wurde ihr bewusst, wie sehr die Essstörung ihr Leben bestimmt hatte. Sie nahm die Hilfe von Ärzt*innen und Therapeut*innen an, beschäftigte sich mit den Gründen für ihre Erkrankung und lernte ganz neu ohne Angst und schlechtes Gewissen zu essen.

Literatur:

Becker, A., et al. (2002). Eating behaviours and attitudes following prolonged exposure to television among ethnic Fijian adolescent girls. British Journal of Psychiatry. 180(6), 509–514.

Cohen, R., Newton-John, T. & Slater A. (2020). The case for body positivity on social media: Perspectives on current advances and future directions. Journal of Health Psychology.

Fritzsche K. & Wetzel-Richter, D. (2020). Essstörungen. In K. Fritzsche & D. Wetzel-Richter (Hrsg.), Basiswissen Psychosomatische Medizin und Psychotherapie. Springer: Berlin.

Holland, G. & Tiggemann, M. (2016). A systematic review of the impact of the use of social networking sites on body image and disordered eating outcomes. Body Image, 17, 100–110.

Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (Hrsg.) (2017). JIM 2017 Jugend. (Multi-) Media Basisstudie zum Medienumgang 12- bis 19-Jähriger in Deutschland. Stuttgart.

Pempek, T., et al. (2009). College students’ social networking experiences on Facebook. Journal of Applied Developmental Psychology, 30, 227–238.

Santarossa, S. & Woodruff, S. (2017). #SocialMedia: Exploring the Relationship of Social Networking Sites on Body Image, Self-Esteem, and Eating Disorders. Social Media + Society.

Smith, A. et al. (2013). Status update: Maladaptive Facebook usage predicts increases in body dissatisfaction and bulimic symptoms. Journal of Affective Disorders, 149, 235–240.

Spettigue, W. &. Henderson, K. (2004). Eating Disorders and the Role of the Media. Psychiatric Review, 13(1), 16–19.

Stice, E. (1994). Review of the evidence for a sociocultural model of bulimia nervosa and an exploration of the mechanisms of action. Clinical Psychology Review, 14, 633–661.





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